Leitgedanken bei Pflege und Adoption

 

Ich arbeite auf der Grundlage der „Leitgedanken“, die auf den „Principles“ von Ray Castellino basieren und von Regina Bücher und Klaus Käppeli bearbeitet wurden. Sie führen zu einem achtsamen und respektvollen Miteinander, das die Sicherheit und die eigenen Impulse stärkt. Das Hineinwachsen in die folgenden Leitgedanken braucht Zeit. Ich habe sie mit Anmerkungen für Pflege- und Adoptivfamilien ergänzt. Sie sind für jede Familie, insbesondere aber für die Pflege- und Adoptivfamilie hilfreich und verändern allmählich die Atmosphäre in der Familie.

 

Leitgedanke Willkommen-Sein

Jede und jeder ist willkommen, so wie er und sie ist, wie er oder sie denkt und fühlt. Alle haben das Recht, gesehen und gehört zu werden.

Für Pflege- und Adoptiveltern ist es eine große Aufgabe das Kind als Person immer wieder ganz willkommen zu heißen – mit seiner ganzen Geschichte, mit seiner Herkunftsfamilie, mit dem Schmerz, den es vielleicht mitbringt – und auch sich selbst, mit den eigenen Grenzen und Erfahrungen.

 

Leitgedanke der Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterstützung

Grundlage ist das Willkommen-Sein. Jede Person wird in ihren Bedürfnissen, ihrem Sein und ihren Anliegen ernstgenommen. Gleichzeitig gehen alle mit den Bedürfnissen und Anliegen der anderen respektvoll um.

Wenn sich alle Mitglieder der Pflege- und Adoptivfamilie willkommen fühlen, können sie sich leichter für Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung öffnen.

Leitgedanke der Wahl

Jede Person hat eine Wahl, das zu tun, was sich für ihn oder sie stimmig anfühlt. Ein „Nein“ ist wichtig und willkommen. Damit können die eigenen Grenzen und die der anderen respektiert werden.

Ein Beispiel hierfür in einer Pflege- oder Adoptivfamilie ist es, wenn das nach mehreren Abbrüchen neu in der Familie angekommene Kind signalisiert, dass es Nähe und Berührung nicht traut. Dieses „Nein“ behutsam stehen zu lassen, es vielleicht zu benennen, trägt allmählich zu mehr Sicherheit bei.

Leitgedanke des kurzen häufigen Augenkontaktes

Alle zwei-drei Minuten einen kurzen unterstützenden Blickkontakt aufzunehmen ist hilfreich und stärkend.

In einer Pflege- oder Adoptivfamilie kann es sein, dass das Kind zunächst nicht in der Lage ist, Augenkontakt auszuhalten. Aber selbst dann ist es für das Kind entlastend, wenn die Eltern mit häufigem kurzen Augenkontakt in Verbindung sind.

Leitgedanke von Kontakt und Aufmerksamkeit

Wenn ich den Impuls habe, jemanden zu berühren oder jemand etwas zu sagen, nehme ich Blickkontakt auf und frage, ob es in Ordnung ist. Bei Zustimmung gehe ich langsam in Berührung. Wenn ich die Berührung wieder auflösen oder etwas ändern möchte, nehme ich erneut Blickkontakt auf. Ich kündige es an und überprüfe, ob meine Absicht bei der anderen Person angekommen ist. Dann gehe ich langsam aus der Berührung. Als letztes gehe ich mit der Aufmerksamkeit weg.

Solch langsames vorsichtiges Vorgehen baut Sicherheit auf und hilft vor allem Kindern in einer Pflege- und Adoptivfamilie sich sicher zu fühlen, dass nichts Unerwartetes geschieht. Das hat eine besonders heilende Wirkung, wenn das Kind überwältigende traumatische Erfahrungen gemacht hat.

Leitgedanke der Selbstregulation, Pausen machen

Gut für sich selbst zu sorgen, ist eine große Unterstützung für alles, was geschieht. Wenn jemand merkt – das kann der Erwachsene oder das Kind sein! – dass er oder sie durch innere Erregung, heftige Gefühle, Müdigkeit oder innere Abwesenheit stark beansprucht wird, ist es unterstützend, wenn er oder sie um eine „Pause“ oder ein „Innehalten“ bittet.

In einer Pflege- oder Adoptivfamilie kann es sein, dass die Kinder sehr schnell sind und die Eltern nicht mehr mitkommen und Erschöpfung spüren. Dann ist es wichtig, dass die Eltern innehalten und sich eine Pause nehmen und gut für sich sorgen. Es geht nicht darum, dass dadurch auch das Kind eine Pause macht, sondern es geht um eine Pause für den Erwachsenen. Mit der Zeit kann es sein, dass auch mal ein Kind nach einer Pause fragt. Für das Kind ist es Vorbild und Unterstützung, wenn die Erwachsenen in der Lage sind, die eigenen Gefühle zu regulieren.

Leitgedanke der Selbstfürsorge

Jeder tut das, was er braucht, um gut für sich selbst zu sorgen: Trinken bei Durst, Essen bei Hunger, bei Bedarf sofort auf die Toilette gehen, bequemes Sitzen, Innehalten.

Bei Kindern in Pflege- und Adoptivfamilien mit starken Bedürfnissen, schwieriger Vorgeschichte, vielleicht Entwicklungsverzögerungen und gesundheitlichen Anliegen haben die Eltern oft das Gefühl, permanent beide Hände voll zu tun zu haben und sie sind in Gefahr ihre eigenen Bedürfnisse sehr häufig zu übergehen. Wenn sie jedoch gut für sich selbst sorgen, unterstützen sie gerade damit auch ihre Kinder.

Leitgedanke der Integration

Das Erlebte braucht Zeit und verschiedene unterstützende Schritte, damit es sich stabil in das Leben integrieren kann.

In der Pflege- und Adoptivfamilie brauchen Kinder und Eltern Zeit und unterstützende Schritte, damit sie das Erlebte integrieren und stabil in ihr Leben einbauen können. Beispiele dafür sind Biografiearbeit oder Tagebuchschreiben.

Leitgedanke der Vertraulichkeit

Der Leitgedanke der Vertraulichkeit gilt auch für Eltern gegenüber den Kindern: Die Eltern sollten erst dann etwas von dem Kind erzählen, wenn sie es gefragt haben und wenn das Kind einverstanden ist.

Dass die beiden Eltern abends zu zweit über die Kinder sprechen, ist hier nicht gemeint. Ebenso können Sie in einem Rahmen mit Schweigepflicht wie beispielsweise in einem Beratungsgespräch oder in Therapie über ihre Gefühle gegenüber dem Kind sprechen. Im Alltag jedoch ist es für jede Familie und insbesondere für die Pflege- und Adoptivfamilie eine Herausforderung, diesen Leitgedanken umzusetzen, nämlich nicht in Anwesenheit des Kindes „über“ das Kind zu reden, weder bei Treffen im Jugendamt, noch bei Begegnung mit der Herkunftsfamilie, noch gegenüber Freunden.

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